Das Gesundheitswesen steht vor erheblichen Herausforderungen. Der stete Kostendruck, die Überbürokratisierung der Behandlungsabläufe und der Fachkräftemangel machen der medizinischen Versorgung zu schaffen. Digitalisierung, Vernetzung und Technologie können helfen, diese Situation zu verbessern. Der zukünftige 6G Mobilfunkstandard wird dabei eine wichtige Rolle spielen. Im vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Projekt 6G Health arbeitet der VDE gemeinsam mit 18 Partnern daran, die zukünftige 6G Technologie für Medizinprodukte und medizinische Systeme nutzbar zu machen.
6G vernetzte Systeme zeichnen sich gegenüber 5G vernetzten Systemen durch einen signifikanten Zuwachs an Geschwindigkeit, Kapazität und Zuverlässigkeit aus. Die Projektpartner untersuchen, welche Leistungsmerkmale die nächste Mobilfunk-Generation aufweisen muss, um den Anforderungen der medizinischen Versorgung bestmöglich zu genügen.
Die Entwicklung von 6G steht noch ganz am Anfang. Erste Netze auf Basis der 6. Mobilfunk-Generation wird es in Europa vermutlich erst ab 2030 geben. Zudem werden 6G Netze mehr sein als reine Funknetze, denn als „Netz der Netze“ integriert der neue 6G Mobilfunkstandard Sensorik, Mobilfunk und Rechenleistung vor-Ort, dem "Edge-Computing". Damit lassen sich Verknüpfungen der realen Welt mit virtuellen Welten realisieren. Diese Integration erfordert zudem den Einsatz künstlicher Intelligenz (KI) in der Netztechnik. In der medizinischen Anwendung werden Kommunikation und Interaktion zwischen Menschen und Maschine eine wichtige Rolle spielen, zum Beispiel bei der engmaschigen Überwachung von Patienten unter harten Echtzeitbedingungen, wie etwa Herzpatienten, die bislang nur stationär über mehrere Jahre hinweg betreut werden konnten. Dazu sind besonders niedrige Latenzzeiten erforderlich, die in 6G Netzen realisiert werden können. Außerdem lässt sich mit 6G Technologie ein energieeffizienterer Netzbetrieb umsetzen.
Medizinische Anwendungen von 6G Netzen (Use Cases)
Aus der medizinisch-klinischen Perspektive stehen zunächst 3 Anwendungsbeispiele im Mittelpunkt:
- Patientenmonitoring: Biosignale, die direkt an Patienten erhoben werden, etwa Blutdruck, Körpertemperatur, Atemfrequenz und andere Vitaldaten, werden aus der Ferne in Echtzeit nachverfolgt. Ziel ist es, die klinische Zusammenarbeit - auch nach der Entlassung aus dem Krankenhaus - sicherzustellen. Dafür soll innovative, nicht-invasive Sensorik für erweiterte klinische Anwendungen im perioperativen und telemedizinischen Bereich als „Remote Monitoring“ und „Remote Patient Management” realisiert werden. Neuartige Sensorik wird hier mit einer erweiterten, 6G vermittelten Netzintelligenz kombiniert.
- Kollaboratives Zusammenarbeiten in der medizinischen Versorgung: Ärzte und Pflegekräfte können zukünftig mittels erweiterter Netzfunktionalitäten besser zusammenarbeiten. Mittels AR (Augmented Reality) oder telemedizinischen Funktionalitäten können Ärzte beispielsweise vor Operationen dreidimensionale Darstellungen von Organen und Geweben zur Vorbereitung anschauen oder bei komplexen Interventionen Spezialisten konsultieren.
- Smart Hospital: Hier geht es um die Vernetzung medizinischer Geräte und die Kommunikationsinfrastruktur für das digitale und vernetzte Krankenhaus. 6G vermittelte Dienste und Systeme ermöglichen neuartige Prozesse, so dass Behandlungs- und Logistikabläufe leistungsfähiger und sicherer gestaltet werden können.
Das Potenzial von 6G Netzen in der Medizin und Medizintechnik ist aufgrund der technischen Eigenschaften riesig und äußerst vielversprechend. Das Projekt 6G Health wird daher auch den Grundstein für eine Vielzahl weiterer 6G vermittelter Anwendungen legen, die für die medizinische Versorgung und darüber hinaus einen großen Nutzen haben. Die Identifikation, Ausarbeitung und Spezifizierung dieser 6G Health Use Cases werden daher kontinuierlich erweitert.
Compliance Anforderungen an 6G Netze in der Medizin und Medizintechnik: Gesetze, Standards und Regeln
Bei der Entwicklung und Nutzung von 6G Netzen bei medizinischen Anwendungen stellen sich eine Reihe regulatorischer und normativer Fragen. Weltweit nimmt mit zunehmender Komplexität von Technologien auch der Umfang korrespondierender (technischer) Regeln und regulatorischer Anforderungen zu. Von dieser Entwicklung sind insbesondere Technologien mit medizinischer Anwendung betroffen, da es hier stets das Ziel ist, Patientenrisiken soweit es geht zu reduzieren. Insbesondere im Europäischen Unionsmarkt haben die Compliance-Anforderungen in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen und sind letztlich auch zu einem innovationsbestimmenden Schritt geworden. Gelingt es in der Phase der Forschung und Entwicklung nicht, spätere Compliance-Anforderungen mit Blick auf technische Lösungen, konstruktive Merkmale, Softwarearchitektur oder klinische Charakterisierung von vornherein zu berücksichtigen und entsprechende Lösungsansätze zu erarbeiten, besteht ein hohes Risiko, dass der Marktzugang einer neuen Technologie aus regulatorischen Gründen scheitert. Daher ist es das Ziel, Compliance-Anforderungen durch unseren VDE-„Conformity-by-Design“-Ansatz so früh wie möglich aufzugreifen und konsequent in die Technologie- und Anwendungsentwicklung einfließen zu lassen. Damit können wir den Transfer der neuen Technologien in die medizinische Anwendung erheblich beschleunigen. Dies gilt auch für alle Aspekte der IT-Sicherheit (Cybersecurity), denn Art und der Umfang der Daten, die verarbeitet werden, setzen voraus, IT-Security von Beginn an einzubeziehen. Cybersecurity lässt sich nicht am Ende einfach "einbauen".
Eine Schlüsselrolle bei den Compliance-Anforderungen von 6G Netzen mit medizinischen Anwendungen spielen Standards. Standards haben gleich eine Doppelfunktion: auf der einen Seite ermöglichen sie durch entsprechende Festlegungen, z. B. in Bezug auf Schnittstellen, Kommunikationsprofile oder Leistungsparameter, dass Technologien spezifikationsgemäß funktionieren. Damit schaffen Sie entsprechende Rahmenbedingungen für den späteren Markt, denn nur die Technologie, welche die Spezifikationen der Standards erfüllt, kann mit anderen Komponenten innerhalb eines Systems interagieren und mit Erfolg vermarktet werden. Auf der anderen Seite stellen die Spezifikationen von Standards einen wesentlichen Teil des Stands der Technik im regulatorischen Sinne dar, d.h. wesentliche regulatorische Anforderungen, z. B. in Bezug auf Sicherheit und Leistungsfähigkeit, basieren auf Standards und müssen für eine Zulassung auch entsprechend nachgewiesen werden. Neben den Standards gibt es zudem eine Vielzahl an Guidance-Dokumenten, sub-normativen technischen Regeln und Empfehlungen, die den Stand der Technik ebenfalls abbilden und im Einzelfall eine ebenso hohe Bedeutung haben können, wie etwa eine international gültige Norm. Dazu kommt die Vielzahl an Gesetzen und anderen Rechtsakten, wie zum Beispiel der Europäischen Verordnung über Medizinprodukte ((EU) 2017/745 (MDR)), deren Anwendung verbindlich ist.
Die im 6G Health Projekt durchgeführten Arbeiten stellen sowohl technologisches als auch regulatorisches Neuland dar. Derzeit gibt es keine 6G vernetzten Systeme mit medizinischer Anwendung und kein korrespondierendes technisches Regelwerk, dass explizit auf diese Anwendungen ausgerichtet ist. Der VDE treibt daher gemeinsam mit den Projektpartnern die internationalen Standardisierungs- und Zulassungsprozesse für medizinische 6G Systeme voran.
6G Health Projektpartner
- Berlin Heart GmbH
- Charité Universitätsmedizin
- CTC advanced GmbH
- DFKI
- ERNW Research GmbH
- Fraunhofer HHI (Heinrich-Hertz-Institut)
- Infineon Technologies AG
- inomed Medizintechnik GmbH
- NXP Semiconductors Germany GmbH
- SectorCon GmbH
- Siemens AG
- Smart Mobile Labs AG
- SurgiTAIX AG
- Universität Bremen
- Universität Halle-Wittenberg
- Universität Leipzig (Universitätsmedizin und ICCAS)
- Universität Rostock
- VDE e.V.
- Vodafone GmbH (Koordinator)
Sie befassen sich mit Fragen zu 6G Netzen in der Medizin und der Medizintechnik sowie der Realisierung potenzieller Use Cases? Sprechen Sie uns gerne an! Das Projekt 6G Health dient auch der Vorbereitung einer entsprechenden Stakeholder-Plattform, um 6G Technologie und korrespondierende Anwendungsszenarien systematisch zu entwickeln und zu spezifizieren.